Schwan löst sich auf
Kamel verliert seinen Höcker
Wir sitzen am Ufer des unteren Sees
Wir sind Gesellschaft
Ausgeschlossen
Eingeschlossen
Das Wolkenschloss treibt uns
in wilde Spekulationen
wer wir sind und sein wollen
In ihrem neuen Lyrikband zeigt sich Ruth Loosli wortverspielt und ernst zugleich. In fünf Zyklen vereint sie eine Vielfalt an Themen, die sie zu Gedichten und kurzen Prosatexten verwebt: Politik und Gesellschaft vermischen sich mit persönlichen Erfahrungen und Eindrücken. Alltägliche Bilder sind hinterlegt mit Fragen an diese Welt.
Die sich wandelnde Weltlage ist immer wieder Thema: Klimawandel und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind in den Gedichten spürbar. Auch die Pandemie und die damit verbundene Zeit des Eingesperrtseins klingen in den Gedichten nach.
Der Liebe in ihren verschiedenen Variationen widmet Ruth Loosli den Zyklus Spiele um Liebe, in dem sie ihren Wortwitz gekonnt in Szene setzt. Sie spielt mit Gedichtformen und Assoziationen und zeigt, wie facettenreich Liebe ist, ob innerhalb der Familie oder im Freundeskreis. Sie steht «zwischen Chemie und Chaos», lässt das Herz überquellen «wie ein / Hefeteig den man zu lange / gehen lässt».
Trotz ernster Untertöne gelingt es Ruth Loosli immer wieder, in wenigen Zeilen Heiterkeit und Lichtblicke zu zeichnen: Schmunzeln lässt das kurze Gedicht «Zum Foto des Geliebten» oder das poesiekundige Krokodil auf dem Bauplatz.
Begleitet wird die Lektüre von Schreibbildern der Autorin, die von ihrer immerwährenden Beschäftigung mit Wortfeldern zeugen. Sprache ist Waffe, «Widerstand / WiderWort» im Alltag, der bedrängt, einengt oder die Grenzen der Zeit sprengt. «Jeder Tag ist eine Fläche / mit offenen Fragen», schreibt Ruth Loosli. Mit ihren Gedichten sucht sie nach möglichen Antworten.
Schwan löst sich auf
Kamel verliert seinen Höcker
Wir sitzen am Ufer des unteren Sees
Wir sind Gesellschaft
Ausgeschlossen
Eingeschlossen
Das Wolkenschloss treibt uns
in wilde Spekulationen
wer wir sind und sein wollen
müssen wir reden
weil wir Menschen sind
uns der condition humaine
beugen
Wäre ich eine Pflanze in
diesem Frühling
weißes Blütenblatt oval
oder breiter
mit einem zarten Grün am Rand
das Schweigen wäre mir lieb
Der Lehre Schönheit
dass alles vergeht
Leicht, aber nie leichtsinnig, gehaltvoll, aber nie schwer umkreist Ruth Loosli in ihrer Sprach- und Bildkunst die conditio humana, das menschliche Dasein, das geprägt ist von Freud und Leid, von Liebe und Verlust, von Zweisamkeit, aber auch Einsamkeit, von der Ohnmacht des Einzelnen in einer Welt, in der man Krisen und Kriegen hilflos gegenüber steht. […]
Seit mehr als zehn Jahren tritt sie mit ihrem lyrischen und erzählerischen Werk in Erscheinung, nicht zuletzt auch mit ihren Schriftbildern, in denen Ruth Loosli das Wort von seiner Abstraktheit entkleidet und es in seiner Bildhaftigkeit darstellt, wodurch sie dessen verborgenen, nicht immer offensichtlichen, manchmal überraschenden Kern herausschält. Da folgt ein seufzendes oh auf honolulu und setzt sich fort in immer weiteren oh´s, an die sich wieder neue oh´s anschliessen, bis all diese oh´s eine Insel bilden, eine Insel des Seufzers, eine Insel der Sehnsucht, eine Insel, in der das oh auch zum ho wird: zum Anfangslaut Honolulus, als ginge die Insel aus dem gehauchten Laut hervor. […]
In ihren Schriftbildern, die Miniaturen gleichen, entfaltet sie eine ganze Welt und eröffnet einen Gedankenkosmos, der für das Suchen und Umkreisen steht, für die Verortung des Ichs in der Welt, und der einlädt zum Miteinander-Reden. Die Kunst von Ruth Loosli nimmt sich der Welt und des Menschen an und bewahrt sich eine ganz eigene Ästhetik, in der sich die Weite im Detail zeigt.