[…] Der aus der «Winterreise» entlehnte Titel ruft die moderne Melancholie auf, da existentielle Befangensein im Selbstzweifel, in der Ahnung vom Ende und die Trauer über Verluste, sei’s der Kindheit, sei’s der Hoffnung nach humaner Solidarität. Himmel, Wolken, Mond, See, gängige Motive der lyrischen Melancholie werden attributlos variiert und bestücken eine «Seelenlandschaft» […]
Kelters freie Verse in eher kurzen Strophen verknüpfen die Melancholie mit der «Haltung» politischer Lyrik, in der an die Orte der Barbarei, des Schreckens erinnert wird (Auschwitz, Smolensk, Litauen, Gulag) und an die Unmenschlichkeiten der Gegenwart, hierzulande, in Äthiopien, in Kolumbien und überall […] Unmissverständlich ist der Appell: «Segel setzen gegen den Wind»; «widerständig sein»; «keiner / soll so will ich mehr einen Fuß / auf den Hals eines anderen setzen». Eine Metapher, deren brutale Realität uns jüngst erschüttert hat.
Die Nennung Paul Celans weist auf eine dritte Seite von Kelters Lyrik – nicht nur dieses Bandes: die Tradition der «dunklen Rede», einer absoluten Sprache, einer das Gegenständliche übersteigenden Magie. Suggestion, Klangbetörung, ergreifender Sound. Als Vorbilder für die ästhetische Faszination werden Maler genannt: Klee, Courbet, Rembrandt, Piero della Francesca. […]