Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek


Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek
Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek
Gedichte
120 Seiten
12 × 20.5 cm
Juli 2021
Reihe: Caracol Lyrik, Band 4
978-3-907296-11-0
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Lieferbar

In seinem neuen Lyrikband hat Jochen Kelter wieder 10 Zyklen von je 7 Gedichten zusammengestellt. Der Titel Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek weist auf zentrale Themen des Bandes hin: Der tschechoslowakische Langstreckenläufer, mehrfache Olympiasieger und Weltrekordhalter Emil Zátopek (1922 – 2000) fiel in Ungnade infolge seines Engagements für den Prager Frühling, stieg ab, wurde aber 1989 rehabilitert. Im Alter litt er an Depressionen.

Diese Gedichtsammlung ist geprägt von der Melancholie des Alters, aber ebenso von Melancholie und Wut angesichts verlorener politischer Ideale, des Scheiterns hoffnungsvoller Ansätze für eine bessere, lebenswerte Welt: «Poeme bestehen aus / Wörtern die die Zeit ritzen».

Es gibt in diesem Band Sinnsuche in Gesprächen mit einem Engel, Traumvisionen, farbige Impressionen der stecken gebliebenen kubanischen Revolution, Trauer um verstorbene politische Weggefährten, Wut über die neue braune Flut und machtgierige Potentaten: «die Zeit nimmt / Fahrt auf ohne uns noch einmal / ins Verheerende». Der Traum befragt das Leben, aber: «Wir bewahren nicht unsere Träume / unsere Träume bewahren uns nicht».

Textauszug

Try and catch the wind

Versuch ihn zu fangen den Wind
versuche die Zeit anzuhalten
die Gelegenheit kommt so bald nicht
wieder beim Marsch auf Washington
I had a dream war nie die Chance
so groß die Welt zu verändern einen
Sitz im Bus neben einem Weißen
zu erklimmen die Blechhütten
zu verlassen the times they are
a-changing geht nicht in den Krieg
nach Vietnam für die Kriegsherren
die jedes Maß verlieren auf
euren Knochen sondern help us raise
raise the prisons to the ground
nie sei sie glücklicher sagt Joan Baez
als wenn ihr Einsatz für Menschsein
und die singende Stimme eins würden
Zivilcourage Kunst zu Zivilcourage
wird gesegneter war Amerika nie
seiner hellen schwarzen Seele näher
die Fotografien beinahe vergilbt

Sommeranfang

Wasser des Sees flaschengrün
Himmel von tiefstillem Blau
weiße Wolken einzeln wie ins
Bild dazu gemalt gelbe Rosenbäume
in Gärten wie nur Gelb sein kann
rote Rosensträucher an den Rainen
Fröschequaken in heller Dämmerung
Schwarzbäume unter hohem Himmel
als sei die Zeit nun endlich
sei sie stillgestanden als käme uns
nichts mehr abhanden kämen uns
nie mehr abhanden die Zeit sei
angekommen das schöne Bild
und andernorts nur Bomben bersten
uns hier das schöne Sommerbild

Rezensionen

Ortskundig mit Sprache im Traumland unterwegs

Jochen Kelter […] schreibt mit 75 zeitlos frische Lyrik über Gespräche mit Engeln, gescheiterte Revolutionen und Traumvisionen […]

  • Christian Kaiser
in reformiert. am 12. Januar 2022

Zwischen mürrisch und lind

[…] Dass ein (einst) unbiegsam politisch Empfindender nun gebeugt dasteht und Lebenssinn aus unbändiger Liaison mit erlesen lyrischen Modi schöpft, wird zum Phänomen einer literarisierten Psyche. Genau in solchem Wechselspiel vibrieren und interessieren die der Tradition verpflichteten Verse. Zeremoniell versetzen sie Kelters Selbst- und Weltschau mit von Nihilismus und Staunen durchtränkten Lebendigkeitsschüben. […]

Raffiniert reflektiert

In seinen lyrischen Ausprägungen läuft der stets einem libertären Sozialismus verbundene Intellektuelle mitunter zu Hochformen auf. Alles in allem versucht sein der vermeintlich zivilisierten Welt fremdgewordenes Ich couragiert die Spanne zwischen «traurig» und «heiter» abzuschreiten, kehrt aber auf halbem Weg um. […]

  • János Stefan Buchwardt
in thurgaukultur.ch am 16. Dezember 2021 (Website)

Ein Leben ist genug

[…] Bissig, kantig, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, schreibt der Ermatinger gegen das Verquere dieser Welt an, gegen die Verbrecher des Dritten Reichs, gegen die heutigen Meinungsmacher, Zocker und Gewinnler, gegen das Verdrängen und Vergessen. Er hält politische Ideale hoch, die zu verschwinden drohen. […]
Ungeachtet der Vers- und Strophengrenzen und ohne Interpunktion lässt der Dichter Gedanken und Sätze durchlaufen, zwingt zum sorgsamen Lesen. Im Kontrast zum harschen Ton steht die sorgfältige, lyrisch getönte Wortwahl und Syntax.

  • Dieter Langhart
in Thurgauer Zeitung am 22. November 2021
in St.Galler Tagblatt am 22. November 2021 (Website)

Nirgendwo einheimisch

[…] «Wir leben in keiner Zeit / wir leben alleine dazwischen», bilanziert ein Gedicht von 2018, hier gemünzt auf Wahlen in Deutschland und den Abstimmungssonntag in der Schweiz, aber gültig wohl über die Tagesaktualität hinaus für einen Dichter, der sich hier wie dort im Exil sieht und «doppelt Grund» hat, «nirgendwo einheimisch zu werden».
Gelegentlich schimmert doch noch ein unerwartet heiteres Abendlicht durch die Zeilen. Am stärksten in der Abteilung «Sagt der Engel». Kelters Engel taucht zum Beispiel an einem «grossen Sommerabend» auf und schweigt wissend zur Frage des Dichters, wie es mit dem «Übergang von hier in die Zukunft» stehe. […]

  • Peter Surber
in Saiten – Ostschweizer Kulturmagazin Nr. 315, «Energiestadt» am 30. September 2021 (PDF / Website)
in seemoz am 8. Oktober 2021 (Website)

Dieses Buch wurde gefördert von

  • Kanton Thurgau, Kulturamt, Lotteriefonds
  • Dr. Heinrich Mezger-Stiftung