Zug nach Tatti


Zug nach Tatti
Zug nach Tatti
Eine Autofiktion mit Übermalungen
Gestaltung Lukas Erat
164 Seiten
18.5 × 20.5 cm
April 2023
Reihe: Caracol WortArt, Band 4
978-3-907296-23-3
  • 28 CHF
  • 26 €
Lieferbar

Ruth Erat erzählt in zwei verflochtenen Strängen von einer Reise in die Toskana, die zum Abenteuer wird, und von Trauer: über den Verlust eines geliebten Menschen wie auch über den Zustand der Welt. Eine Autofiktion mit Übermalungen nennt sie ihr Buch, das Lukas Erat graphisch gestaltet hat.

Die Autofiktion erzählt von einer Reise, die zum langen Weg in die Nacht und die Trauer wird und zugleich in die Widersprüchlichkeit und Schönheit des Lebens. Johanna, die Ich-Erzählerin, geht voran und in ihren Aufzeichnungen zurück, taucht in die Sterblichkeit hinein und taucht über Begegnungen mit Menschen wieder auf zu den Aspekten ihrer eigenen Existenz. Was kann ein erfülltes und zugleich zwangsläufig prekäres Leben sein? Soll Johanna in Tatti ein billiges Haus kaufen, obwohl sie eher nomadisch lebt, oder genügt ein warmer Mantel?
Übermalungen legen über die Fragmente einer Skizze auf Leinwand die hellen Flächen von Nicht-mehr und Noch-nicht. Für den letzten Teil des Textes in diesem Buch – unter dem Titel «Fragile» – erhielt Ruth Erat 2021 einen Hauptpreis der Akademie für das gesprochene Wort.

Textauszug

***

Wieder steht der Zug. Zwischen Wolkenbändern blauer Himmel. In der Ebene ein rosa Häusergeviert. Eine Wäscheleine über einen Hof. Ein ins Freie gehängter Anzug. Nadelstreif, denke ich. Dahinter ein weißes Kleid. Ein heller Unterarm hebt sich. Eine Hand greift nach der Leine, zieht. Das Kleid baumelt hin und her. Eine Wendung. Die Hand fasst nach dem Kleid. Weißer Tüll bläht sich, fällt durch die Luft, taucht in einer schattigen Tiefe weg. Sonnenlicht fällt auf rotes Haar.
Der Zug rollt wieder an. Es regnet erneut.

***

Aus dem Fenster der Rehabilitationsklinik schaue ich auf weiche weiße Magnolienblüten. Ein Duft erreicht mich nicht.
Hans füllt die Umfrage für Transplantierte aus. Frage: Gibt es in Ihrem Leben Zeiten, in denen Sie sagen «Ich bin glücklich.»? Hans kreuzt «Ja, oft» an.

***

Ich betrachte Bilder. Das Anden-Hochgebirge. Der Uru-Uru-See eine Fläche aus Petflaschen und Spielzeug.
Noch kann man dazu in alten Texten das Wort Naturparadies lesen, sehen, wie auf Fotos Flamingos im Wasser stehen.

Warum schreien wir nicht, wenn wir im harmlosen Provinzblatt lesen, dass Blei, Quecksilber, Chrom, Radionuklide, Pestizide und Cadmium das Leben in den ärmeren Ländern außerhalb Europas vergiften?

Wer krank ist, dessen Welt beschränkt sich auf den eigenen Körper.

Ausweinen.
Ein Dasein aus Weinen.

***

23.30
Ich gehe.
Schritt für Schritt.
Wider besseres Wissen.
Gegen die Angst.
Ich schalte mein Navigationstool ein, starre auf einen blauen Punkt. Das bin ich. Wohin ich diesem Ich folge, weiß ich nicht.

Ich sage in wilder Folge alles vor mich hin, was mir einfällt.
Der Satz zu meinen Enkeln: Ich bin nun die Witwe Bolte.
Die Sätze zu mir selbst: Ich gehe in die Nacht hinein.
Ich bin viel zu alt dafür. Natürlich. Es ist halsbrecherisch.
Ich sage zu dir: Hörst du? Es ist halsbrecherisch. Es ist Zeit, Halsbrecherisches zu tun.

Übermalungen

Dieses Buch wurde gefördert von

  • Kanton Appenzell Ausserrhoden, Amt für Kultur, Kulturförderung
  • Kanton St.Gallen, Amt für Kultur, Kulturförderung
  • Kanton Thurgau, Kulturamt, Lotteriefonds