Der Ring des Glücks


«No tengo mas que dar te», steht auf dem schmalen Goldring, «Ich habe nicht mehr, Dir zu geben». Don Alonso Martinez de Leyva legt ihn neben seinen Becher auf den Tisch und schließt die Augen für einen Moment. Er versucht, die weiße Bucht vor sich zu sehen. Die Kajüte schwankt in heftigen, ungleichen Stößen.

Don Alonso hatte sein Leben lang Glück gehabt. Mit seinem offenen Gesicht, seinem flachsblonden Haar waren ihm die Herzen der Menschen zugeflogen, auch das Herz des Königs, und wie er mit dessen Segen vor ein paar Monaten auf der behäbigen La Rata Santa Maria Encoronada aus der Mündung des Tajo in den Atlantik hinaussegelte, waren die Söhne des spanischen Adels um ihn versammelt gewesen, in spitzenbesetzten Röcken. Ja, es hieß, er – der junge Don Alonso – werde das Kommando der unbesiegbaren Armada übernehmen, sollte dem zaudernden Herzog von Medina Sidonia während der Eroberung Englands etwas zustoßen.

Und das Glück war Don Alonso treu geblieben, auch als der Südwestwind sie vor La Coruña überraschte und zwei Tage vor sich hertrieb, als sie im Kanal auf den Gegner stießen, und in jener Nacht, in der sie die Taue kappten, um den brennenden Teerschiffen der Engländer zu entkommen. Wochen später hatten sie, die Zungen schwarz vor Durst und unfähig, dem unermüdlichen Südwind weiter zu trotzen, die Warnungen Medina Sidonias missachtet und an der Küste Irlands Schutz gesucht, und wieder hatten sie Glück gehabt. Keiner der Leute ertrank, als der ankerlose Rumpf der Santa Maria in den Felsen zerschellte, und sie retteten Waffen, Munition, ihr Silber und Gold.

Noch bevor einheimische Plünderer oder die mordlustigen Schergen der englischen Königin ihrer habhaft werden konnten, waren sie wieder auf See, und als die Duquesa Santa Ana wenige Tage darauf weiter nördlich auf Grund lief, sagten sie, Don Alonso habe noch einmal Glück gehabt. Die lose Ankerwinde verfehlte seinen Kopf und zerschlug ihm das Bein. Während seine Leute ihn auf einer Bahre über die Hügel in den nächsten Hafen trugen, träumte er zum ersten Mal von der weißen Bucht.

Wenige Tage später stachen sie wieder in See, auf der flinken Gerona nun, die bis in den letzten Winkel mit Schiffbrüchigen beladen war. Bei Sonnenuntergang erhob sich ein heftiger Wind. Der Steuermann versicherte Don Alonso, sie hätten die Nordspitze Irlands längst umsegelt, doch einer der Seeleute widersprach mit lauter, herausfordernder Stimme. Don Alonso hatte keine andere Wahl, als es zu hören. Er ließ den Hetzer hängen. Der Wind pfiff in langen Schreien durch die Planken des Schiffs. Am abgemagerten Finger des Erhängten hatte Don Alonso den goldenen Ring gesehen: eine Hand, die ein Herz umschloss: Ich habe nicht mehr, Dir zu geben. Nun hört er durch das Heulen des Sturmes die Wellen an eine Küste schlagen. Don Alonso betrachtet den Smaragdring an seiner eigenen Hand. Die Kajütenwände knarren. Er kann sich nicht erinnern, von wem er den Ring bekommen hatte. Mit einem Mal weiß Don Alonso, dass er nicht einem gierigen Burgherrn in die Hände fallen wird, der seine Leute köpfen lässt, um einer Exkommunizierten zu gefallen, und dass er nicht in einem feuchten Verließ verfaulen wird, um eines unzahlbaren Lösegeldes willen. Die Kajüte hebt sich und neigt sich zur Seite. Sein Becher rollt über den Boden. Die weiße Bucht, die er gesehen hat, muss in eine andere Welt gehören.

Am 26. Oktober 1588 zerschellte die spanische Gerona an der Nordspitze Irlands. Von den 1300 Männern an Bord überlebten neun den Untergang, Don Alonso war nicht unter ihnen. Sorley Boy McDonnell, Herr von Dunluce Castle, nahm die Schiffbrüchigen auf, pflegte sie und schickte sie nach Hause. Sorley Boy McDonnell war kein Freund der Engländer. Wenige Jahre zuvor hatte der Graf von Essex seine Familie auf hinterhältige Weise niedergemetzelt. Die geretteten Spanier meinten, sie hätten Glück gehabt, gerade ihm in die Hände zu fallen, und sie erzählten noch lange von seiner Gastfreundschaft.

Dreissig Jahre nach dem Untergang der Gerona, dem größten und letzten Schiffbruch in der Geschichte der unglücklichen Armada, gestand eine alte Frau auf ihrem Totenbett, sie habe einen der Spanier in der weißen Bucht nicht weit von Dunluce Castle gefunden und ihn – wegen seines Rings, der mit einem großen, grünen Smaragd besetzt war – getötet. Der schmale Goldring mit der spanischen Inschrift wurde 1968 von Tauchern im Wrack der Gerona vor der Küste Nordirlands gefunden.

© Gabrielle Alioth

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