Mit missbilligender Miene stellt der Barkeeper das nächste Glas vor mich hin. «70 Prozent aller amerikanischen Literaturnobelpreisträger waren Alkoholiker», wende ich ein.
«Nur Barkeeper sterben häufiger an Leberzirrhose als Schriftsteller», entgegnet er. Gleich an meinem ersten Abend im Hotel sind wir ins Gespräch gekommen. Ich habe als Studentin mal hinter einer Bar gearbeitet, er schreibt in seiner Freizeit an einem Roman.
Das Hotel war meine Zuflucht. Es war immer schwieriger geworden mit Heinrich, und als er dann im Streit die handbemalte Tasse mit seinem Hagebuttentee zerschlug, wußte ich, wohin. Ich habe Hotels immer gemocht.
Die Bar ist leer bis auf die zwei alten Damen, die wie jeden Abend ihre Wodkas trinken, ohne dabei Carlo, den Pianisten, aus den Augen zu lassen. Er spielt As Time goes by. In einer schummrigen Ecke hat sich ein ältliches Liebespaar auf einem Ledersofa ineinander verschlungen. Ich versuche, mir eine Geschichte zu ihnen auszudenken.
«Noch einen!» Ich schiebe das leere Glas über die Theke. «Alkohol fördert die Phantasie.»
Der Barkeeper presst eine Zitrone aus; er beachtet mich nicht. Ich habe genug Phantasie, zuviel nach Heinrichs Ansicht, und ich schreibe seit Jahren an derselben Geschichte. Mit gerunzelter Stirn hatte Heinrich den ersten Entwurf gelesen. Er trug sein Haar damals schon etwas länger, aber er rasierte sich noch und zu den zerknitterten Baumwollhemden aus dem Umweltladen trug er enge Jeans. Er mochte die Geschichte nicht.
Der Barkeeper holt den weißen Rum aus dem Regal.
Als ich meine Geschichte Heinrich wieder zum Lesen gab, hatte er sich die ersten Sandalen gekauft. Er trug Socken darin und rutschte bei jedem Schritt. Derek, meine Hauptfigur, trug karierte Jacketts und offene Hemdkragen. Der Barkeeper gibt einen Schuss Angostura-Bitter in den Shaker. Heinrich mochte meine Geschichte noch weniger als beim ersten Mal.
«Noch einen», wiederhole ich und der Barkeeper schiebt mir die Whiskey-Flasche hin. Dem Verfasser des Great Gatsby gab man den Übernamen ‹Scotch› Fitzgerald. Carlo spielt Strangers in the Night. Während ich meine Geschichte erneut überarbeitete, ließ Heinrich sich einen Bart wachsen. Seit er keine Socken mehr trug, lösten sich seine Fußsohlen beim Gehen mit einem schmatzenden Geräusch von den Sandalen. Derek trug italienische Wildlederschuhe. Während Heinrich mit Freunden aus seiner Meditationsgruppe Flussufer am Stadtrand säuberte, fuhr ich an meinem Schreibtisch mit Derek im Kabriolett über die Keys von Florida. Der Barkeeper mischt Worcestershire Sauce und Tabasco in den Drink. Ich schenke mir nochmals nach.
«Hemingway soll an einem Abend in Havanna sechzehn doppelte Frozen Daiquiris getrunken haben.»
«1,7 Liter Rum, der Saft von 32 Limonen, acht Grapefruits …», rechnet der Barkeeper, während er den Shaker mit Tomatensaft auffüllt. Ich denke an Dereks rotseidenen Morgenmantel. Edgar Allen Poe schrieb die meisten seiner Geschichten im Absinth-Rausch.
Am Tag, an dem ich die bolivianische Strickjacke, die Heinrich mir zu Weihnachten geschenkt hatte, in die Waschmaschine tat, war das Maß voll. Mit einem Knall stellte er nach dem Abendessen seine Tasse auf den Tisch und der Hagebuttentee spritzte in alle Richtungen. Am Nachmittag hatte er mit dem Fahrrad die Geschäfte in den Außenquartieren der Stadt nach frischem Tofu abgesucht. Er hatte geschwiegen, als er bei seiner Rückkehr die auf Kindergröße geschrumpfte Jacke sah; die Wohnung roch nach feuchtem Lama. Ich wischte mir den Hagebuttentee aus dem Gesicht und begann zu packen. An meinen Nachthemden klebten Wollfussel von Heinrichs Unterhosen. Ich wusste, dass er die letzte Version meiner Geschichte nicht zu Ende gelesen hatte.
I will survive… klingt es aus dem Lautsprecher über der Theke. Carlo hat aufgehört zu spielen. Der Barkeeper würzt den Drink mit Salz und Pfeffer, schüttelt ihn kurz und giesst ihn in ein hohes Glas mit Eiswürfeln.
«Für wen ist der?», frage ich.
«Zimmer 15.» Er stellt das Glas auf ein silbernes Tablett. Zimmer 15 ist gleich neben meinem. Dereks glattrasierte Wangen dufteten stets nach Aftershave. Das Liebespaar auf dem Ledersofa hat sich entschlungen und steht an der Bar, um zu zahlen. Die beiden alten Damen sind mit Carlo verschwunden.
«Auf Rechnung», sage ich zum Barkeeper, der in seinem Geldbeutel wühlt, und – ohne zu wissen warum – greife ich nach dem Silbertablett. In der Hotelhalle zögere ich noch einen Moment, doch dann öffnen sich die Lifttüren vor mir. Der rote Drink schaukelt ein wenig, während ich durch den Hotelflur gehe. Vor Zimmer 15 stelle ich das Tablett auf ein Tischchen und ziehe mein Cocktailkleid zurecht.
«Ja bitte», ruft eine Männerstimme aus dem Innern, als ich klopfe. Ich öffne die Türe. Der rotseidene Morgenmantel schimmert im Schein der Nachttischlampe. In der Luft hängt ein Hauch von Aftershave. Ich erkenne den Hinterkopf mit dem kurz geschnittenen Haar sofort. Langsam dreht er sich zu mir.
«Da bist du ja», sagt Heinrich und streicht sich über die glattrasierten Wangen.
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